Welche Bedeutung haben frühkindliche Reflexe für dein Baby?
Schon bei Geburt kann dein Baby viel mehr als du ahnst: Ein ganzes Arsenal frühkindlicher Reflexe hilft deinem Neugeborenen dabei, sicher und gesund durch die ersten Wochen und Monate zu kommen, während sein Körper und Gehirn sich rasant weiterentwickeln.
Was ist eigentlich ein frühkindlicher Reflex?
Grundsätzlich sind Reflexe automatisch ablaufende, immer gleichförmige (also stereotype) Reaktionen auf einen Reiz. Reflexe befinden sich im ältesten Teil des Gehirns, dem Stammhirn. Sie dienen dem Überleben.
Die Reflexe von Babys bilden sich schon während der Schwangerschaft und haben von Anfang an eine wichtige Bedeutung: nicht erst in den Monaten nach der Geburt, sondern sogar schon in deinem Bauch.
Frühkindliche Reflexe während der Geburt
Tatsächlich spielen bereits während der Geburt eine ganze Kette von Reflexen eine wichtige Rolle. Denn so gelangt dein Ungeborenes sicher durch den Geburtskanal: es bewegt sich genau richtig und hilft so aktiv mit.
Frühkindliche Reflexe in den ersten Lebenswochen
In den ersten Lebenswochen sind dann zahlreiche weitere Reflexe für das Überleben des Babys zuständig. Einige wirst du vielleicht schon kennen, wie z.B. den Saugreflex, den Greifreflex oder den Moro-Reflex. Diese Reflexe sind angeboren, dein Baby muss sie nicht erst erlernen. Sie dienen als rudimentäres Training für willensgesteuerte Fähigkeiten in der Zukunft. Mit der Zeit werden sie durch gewollte, steuerbare Muskelbewegungen ersetzt.
Frühkindliche Reflexe im weiteren Verlauf
Sobald die Reflexe dafür gesorgt haben, dass das Baby die ersten Lebenswochen überlebt hat und sie somit ihre Aufgaben erfüllt haben, werden sie durch höhere Zentren des Gehirns gehemmt und kontrolliert. Der Fachausdruck hierfür heißt: die Reflexe werden “integriert”. Du hast vielleicht schon beobachten können, wie dein Kinderarzt die Reflexe und später ihr Verschwinden, also ihre Integration untersucht. Er erkennt daran, dass sich das Nervensystem deines Babys normal und altersgerecht entwickelt.
Frühkindliche Reflexe beim Essen und Trinken
Eine wichtige Rolle spielen frühkindliche Reflexe auch bei der Nahrungsaufnahme unserer Babys. In unserem Beikostkurs beschäftigen wir uns deshalb auch ausführlich mit der natürlichen Integration dieser Reflexe, so dass dein Baby Freude an fester Nahrung hat.
Welche frühkindlichen Reflexe hat mein Baby?
Die frühkindlichen Reflexe konzentrieren sich auf die wichtigsten Überlebensbereiche: sie stellen sicher, dass dein Baby Nahrung aufnehmen kann, schützen es vor Gefahren und ermöglichen es ihm, sich schon bei Geburt zumindest geringfügig fortzubewegen.
Reflexe, die dem Schutz dienen
Der Moro-Reflex
Vom Moro-Reflex hast du wahrscheinlich schon mal gehört. Er ist mit der bekannteste im allgemeinen Sprachgebrauch.
Der Moro-Reflex entsteht bereits in der 9.Schwangerschaftswoche. Er ist bei der Geburt vollständig vorhanden. Er dient ursprünglich dazu, dass sich das Neugeborene bei einer plötzlichen Gefahrensituation am Körper bzw. im Fell der Mutter verankert.
Moro-Reflex als Schreck-Reflex
Der Moro-Reflex ist die früheste Form einer Kampf- und Fluchtreaktion. In den ersten Lebensmonaten dient er als Überlebensmechanismus, um „Alarm zu schlagen“ und Hilfe herbeizurufen, und natürlich um während einer Flucht sicher bei Mama zu bleiben, ohne verloren zu gehen.
Dieser Reflex wird beim Baby durch plötzliche, unerwartete Reize jeglicher Art ausgelöst. Dabei ist egal, über welchen Sinneskanal der Reiz auf dein Baby einströmt: sowohl visuell (über die Augen), taktil (über den Tastsinn), vestibulär (über den Gleichgewichtssinn) als auch auditiv (über das Gehör) lässt sich der Moro-Reflex auslösen. Die Reaktion auf den Reiz erfolgt dann in zwei Phasen: Zuerst öffnet sich der Mund, die Ärmchen und Beinchen werden zur Seite gestreckt. In der zweiten Phase schließt sich wieder der Mund, Ärmchen und Beinchen werden gebeugt und vor den Körper zusammengeführt. Außerdem kommt es zur Ausschüttung von Stresshormonen und zu einer erhöhten Herz- und Atemfrequenz. Die Reaktion der Babys ist unmittelbare Erregung, schnelles Einatmen, gefolgt von Ausatmen und oft begleitet durch einen Schrei.
Die positiven Seiten des Moro Reflexes
Dieser Reflex wird in Zusammenhang mit den frühesten Atem-ähnlichen Bewegungen im Mutterleib gesetzt, und ermöglicht später den ersten Atemzug gleich nach der Geburt! Wusstest du das? Superspannend, wie die Natur unser Überleben sichert.
Grundsätzlich sollte der Moro-Reflex in seiner Grobform im Alter von zwei bis vier Lebensmonaten verschwinden, also sich integrieren bzw. gehemmt werden. Er wird nun nicht mehr benötigt.
Der Moro-Reflex im Alltag
Sicherlich hast du den Moro-Reflex auch schon bei deinem Baby beobachten können. Im Alltag solltest du dennoch darauf achten, den Reflex möglichst selten selbst bei deinem Baby auszulösen. Denn das Auslösen des Moro-Reflexes bedeutet immer auch Stress für dein Baby.
Im folgenden Video zeigen wir dir, wie du dein Baby schon in den ersten Tagen und Wochen hochnehmen und wieder ablegen kannst, ohne den Reflex auszulösen.
Der Atemschutzreflex:
Dies ist ein wichtiger Schutzreflex für dein Baby: Gelangt Wasser in die Nase oder den Mund deines Babys, so verschließen sich seine Atemwege automatisch – das Wasser kann nicht in die Lunge gelangen. Übrigens: dieser Reflex lässt sich nicht nur durch Wasser, sondern auch durch Wind auslösen. Deshalb wird beim Babyschwimmen vor dem Tauchgang das Baby angepustet: der Reflex setzt früher ein, und das Baby kann noch sicherer untertauchen.
In der Regel verschwindet dieser Reflex aber nach wenigen Lebensmonaten. An seine Stelle tritt der Hustenreflex, der uns immer erhalten bleibt. Er befreit die Atemwege von Fremdkörpern und schützt uns so ganz automatisch.
Der Hand-Greifreflex (Palmar-Reflex):
Dieser Reflex bildet sich schon in der 11.Schwangerschaftswoche, auch er ist bei deinem Baby und ab Geburt vollständig vorhanden.
Ausgelöst wird er durch Berühren und Druck auf die Handinnenflächen bei deinem Baby. Der Reiz sorgt dafür, dass seine Hand greift, sprich die Finger deines Babys beugen sich und halten etwas fest. Das Greifen ist allerdings noch nicht sehr genau: dein Baby greift mit der ganzen Hand.
Diesen Reflex kennen wir u.a. aus dem Tierreich: er dient z.B. dazu, dass sich ein Baby an seiner Mutter festhalten kann. Äffchen krallen sich so in das Fell ihrer Mütter. Bei uns Menschen sinkt die Bedeutung dieses Reflexes.
Gegen Ende des 3. Lebensmonats wird dieser Reflex gehemmt, denn nun beginnt dein Baby bewusst und aktiv zu greifen. Greifen und Dinge in den Mund stecken ist nun eine ständige, aufregende und spannende Tätigkeit deines Babys. Es benutzt hierfür sowohl seine linke als auch seine rechte Hand oder auch beide Händchen gleichzeitig.
Gegen Ende seines 9. Lebensmonats wird das Greifen immer feiner, die Kontrolle über seine Finger gelingt deinem Baby immer besser und nun beherrscht es den sogenannten Pinzettengriff. Es sammelt nun mit großer Freude kleinste Krümmel und Fusseln auf. Vorsicht! Eventuell erhöhte Verschluckungsgefahr!
Der Fuß-Greifreflex (Plantar-Reflex)
Berührst du den Fußballen unterhalb der Zehen deines Babys, dann krallen sich seine Zehen zusammen. Beim Loslassen spreizen sich seine Zehen wieder. Dieser Reflex ist ein Verwandter des Hand-Greifreflex und ist vermutlich ein Überbleibsel von unseren Vorfahren, die noch 4-beinig unterwegs waren. Er bleibt im ganzen ersten Lebensjahr erhalten und wird mit Beginn des Laufenlernens gehemmt.
Reflexe, die der Ernährung dienen
Der Such-Reflex, der Saug-Reflex und der Schluck-Reflex:
Der Suchreflex bildet sich erst in der 34. Schwangerschaftswoche. Aber Saug- und Schluckreflex entstehen schon früher, in der 24. bis 28.Schwangerschaftswoche. Manchmal kannst du diese Reflexe schon vor der Geburt, während eines Ultraschalls deines Bauches, beobachten: dein Kleines nuckelt oft schon im Bauch an seinen Daumen, Fingern oder sogar Zehen.
Der “Breastcrawl”
Die Kombination von Such- und Saugreflex stellt sicher, dass dein Baby sich seiner Nahrungsquelle zuwendet und seinen Mund weit genug öffnet, so dass die Brustwarze oder der Sauger der Flasche umschlossen werden kann. In Kombination mit dem Kriech-Reflex, den wir dir weiter unten zeigen, stellt er sicher, dass ein Neugeborenes, wenn man es auf den Bauch seiner Mutter legt, ganz alleine den Weg über den Bauch zur Brust und Brustwarze zu seiner Milch findet und zu saugen beginnen kann. Diese erstaunliche Fähigkeit deines Babys ist unter “Breastcrawl” bekannt. Wenn du dir das einmal genauer anschauen willst, empfehle ich dir das Video des “Gesund ins Leben”-Netzwerks unter www.gesund-ins-leben.de/breastcrawl/. Jetzt aber zu den 3 Reflexen im Einzelnen:
Der Suchreflex
Den Suchreflex hast du bestimmt schon beobachten können. Sobald dein Baby eine Berührung an seinem Mundwinkel verspürt, dreht es seinen Kopf in die Richtung der Berührung und führt Suchbewegungen aus.
Der Saugreflex und der Schluckreflex
Der Saugreflex des Neugeborenen wird durch Berührung der Lippen und der Zungenspitze ausgelöst. Berührst du die Lippen deines neugeborenen Babys, so spitzt es seinen Mund und beginnt mit Saugbewegungen. Begleitend bewegt dein Baby seine Hände und seinen gesamten Körper. Sobald Nahrung oder Flüssigkeit in seinen Mund gelangt, wird diese runtergeschluckt. Durch den Schluckreflex sind die Atemwege nicht gefährdet.
Der Saugreflex wird nach ca. drei bis vier Monaten durch bewusstes Saugen ersetzt. Der angeborene Schluckreflex als Transport von Nahrung in die Speiseröhre sowie der Würgereflex bleiben hingegen das gesamte Leben lang erhalten. Wir kennen das von uns selbst.
Reflexe, die der Fortbewegung dienen
Der Kriech-Reflex (oder auch „Primitives Kriechen“):
Liegt dein Baby auf dem Bauch, und wird auf die Sohle des Füßchens Druck ausgeübt, so beginnt es, Krabbel- bzw. Kriechbewegungen auszuführen, als wolle es die Flucht ergreifen. Seine Beine machen Streck- und Beugebewegungen, dabei stemmen sich seine Zehen in den Untergrund. So macht dein Baby wichtige und neue Erfahrungen mit seinem Körper und mit seinen Füßen. Es schafft so die Grundlage für die Stützfunktion seiner Beinchen. Der Reflex trainiert die Muskeln deines Babys und fördert die Koordination. Es ist ein schlaues Trainingsprogramm der Natur. Dieser Reflex ist bis zum 2. oder 3. Monat sichtbar.
Der Stehreflex und der Schreitreflex
Um den Stehreflex zu beobachten, wird das Neugeborene aufrecht gehalten und sein Rumpf gestützt. Wenn es die Unterlage mit den Füssen berührt, versteift es seine Beine. Diese Stützreaktion wird im 4. Lebensmonat allmählich abgelöst, so dass ab dem 8. Monat die Beine das Körpergewicht mit voller Belastung der Fußsohlen tragen, wenn der Rumpf gestützt wird.
Zum Beobachten des Schreitreflexes wird das Baby ebenfalls in aufrechter Position gehalten und seine Füßchen berühren eine Unterlage. Nun beugt und streckt es seine Beinchen: es sieht aus, als würde es „laufen“ (schreiten). Mit dem späteren Erlernen des aufrechten Gangs hat der Schreitreflex allerdings nichts zu tun. Stattdessen macht sich der Schreitreflex bereits im Mutterleib bemerkbar, sobald dein Ungeborenes mit der Fußsohle an die Wand der Gebärmutter stößt. Vermutlich dient er deinem Baby dazu, sich in die richtige Geburtsposition zu bringen. Am Ende des 2.Lebensmonat verschwindet auch dieser Reflex.
Weitere frühkindliche Reflexe
Der Asymmetrische tonische Nackenreflex (ATNR)
Dieser Reflex entsteht bereits in der 18. Schwangerschaftswoche. Das ist auch gut so, denn dein Baby braucht ihn schon in deinem Bauch und dann vor allem während der Geburt. Und so sieht dieser Reflex aus:
Die Kopfbewegungen deines Babys zu einer Seite führen zu einem gleichzeitigen reflexhaften Ausstrecken seines Armes und seines Beines zu der Seite, in die es seinen Kopf dreht. Sein Arm und sein Bein auf der anderen Seite werden gleichzeitig gebeugt. In diese Bewegung ist der gesamte Körper deines Babys einbezogen.
Im Mutterleib hilft der Reflex dem Baby, seinen Muskeltonus zu entwickeln und Bewegungen zu unterstützen, so dass sein Gleichgewichtssystem und neuronale Verbindungen angeregt wurden. Beim Geburtsprozess verleiht der Reflex dem Ungeborenen die notwendige Flexibilität und Beweglichkeit, um durch den Geburtskanal zu kommen. Auch nach der Geburt bleibt der Reflex noch von Bedeutung. Er hilft deinem Baby in Bauchlage, seinen Kopf zur Seite zu drehen.
Der Magnetreflex:
Der Säugling liegt auf dem Rücken und hat seine Beinchen gebeugt. Nun berührt ein Erwachsener die Fußsohle des Säuglings und unter Beibehaltung des Kontakts zieht der langsam seine Hand zurück. Der Säugling folgt dem Kontakt, in dem er seine Beinchen streckt. Am Ende des 2. Lebensmonat verschwindet dieser Reflex.
Schlafmyoklonien
Eine Sonderform der Reflexe sind die sogenannten Einschlafzuckungen oder Schlafmyoklonien. Dabei handelt es sich um plötzliche, kurze Zuckungen (Myoklonien) der Gliedmaßen oder des Rumpfes, die während der Einschlafphase auftreten. Besonders häufig kann man dieses Phänomen im Kleinkindalter beobachten, aber auch wir Erwachsenen zucken ab und zu beim Einschlafen. Es ist ein Zeichen der Entspannung und völlig harmlos.
Wie verschwinden die Frühkindlichen Reflexe?
Oder was passiert mit ihnen wirklich?
Viele Reflexe verschwinden im Leben, d.h. sie werden gehemmt/integriert, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Allerdings sind Reflexe wichtig im Entwicklungsverlauf deines Kindes, denn aus ihnen heraus entwickelt sich das Gehör, der Gleichgewichtssinn, die visuelle Wahrnehmung, Sprache, Koordination und Feinmotorik. Wenn es so weit ist, werden die frühkindlichen Reflexe von koordinierten Bewegungen abgelöst. Manche Reflexe bleiben ein Leben lang vorhanden, z.B. Gähnen und Husten.
Bei jeder U-Untersuchung kontrolliert der Kinderarzt/die Kinderärztin die Reflexe deines Babys bzw. die Integration dieser. Fallen dabei Unregelmäßigkeiten auf, können dies Hinweise auf eine Erkrankung bei deinem Baby sein. Mit Physiotherapie, Osteopathie und anderen therapeutischen Möglichkeiten kann deinem Kind meist schnell und gut geholfen werden.
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Vera Hille und Patricia Schark
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